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Metternichs Erben

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Staatspolizei wieder gegründet. Sie war von Anfang an von den Alliierten Diensten „unterwandert“. Noch Ende der 1960er-Jahre platzten Spionage-Skandale innerhalb der Staatspolizei (STAPO). Sie warfen ein ziemlich grelles Licht auf die österreichische Nachkriegs-Realität. Mit einem Schlag wurde deutlich, wie stark Ministerien und Behörden infiltriert waren. Die Staatspolizei war von Anfang an ein innenpolitisches Minenfeld. Sie war jahrelang eine Art Selbstbedienungsladen für westliche und östliche Dienste. Juristisch arbeiteten die Beamten überdies in einer Grauzone.

Opportunitätsprinzip oder Legalitätsprinzip? Man entschied sich meist für das Motto: „Nur kane Welln“. Ostberlin und Prag infiltrierten die Wiener Gesellschaft, selbst die Stammlokale der Staatspolizisten. Zu dieser Zeit war die Staatspolizei, nicht wie heute, Teil des Ministeriums, sondern der nachgeordnete Teil der Wiener Sicherheitsbehörde. Diese historisch bedingte Situation ist heute noch vielfach der Grund so mancher Disharmonien zwischen dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und der übergeordneten Behörde, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im BM.I.

Die Politik reagierte erst auf die Infiltration, als sie erkannte, dass die Staatspolizei großflächig aus dem juristischen und politischen Ruder gelaufen war.

Aus den Dokumenten, die der KGB-Überläufer Vasilij Mitrochin nach London brachte, konnte man den Schluss ziehen: Moskau infiltrierte die österreichischen Polizeibehörden bis in die 1980er-Jahre. Die Schwesterndienste des KGB, die Ostberliner Stasi und der tschechische STB waren speziell auf Österreich angesetzt. Wien war bis in die 1990er-Jahre die Drehscheibe für den Hochtechnologie-Handel in den Osten. Der ehemalige KGB-Archivar kam 1992 mit sechs Metallkisten voll mit Dokumenten nach London. Die britischen Behörden informierten 1996 Wien über die Existenz von KGB-Informanten in Österreich – Spuren führten damals bis ins Bundeskanzleramt. Alle Verdachtsfälle wurden sang- und klanglos juristisch „beerdigt“, ebenso in der Bundesrepublik Deutschland.

In dieser Chronik tauchen die Namen hochrangiger Beamter auf. Voran Gustav Hohenbichler, damals Vizechef der Wiener Staatspolizei. Er wurde von Überläufern zweifelsfrei als Mann der Stasi in Wien identifiziert. Kurz vor seiner Verhaftung erlag Hohenbichler einem Krebsleiden. Die Dossiers seiner östlichen Führungsoffiziere wurden indes längst in Moskau in Sicherheit gebracht. Erst dem Leiter der Einsatzgruppe Bekämpfung Terrorismus (EBT) und späteren Leiter der Gruppe C im BM.I, Oswald Kessler, war es gelungen, die EBT und die Staatspolizei in der westlichen Intelligence Community zu verankern.

Die offizielle Geschichte der militärischen Dienste begann 1956. Im Amtskalender war der Dienst anfangs als Nachrichtengruppe eingetragen. Erst 1972 bekam die Gruppe den Status eines Amtes, fürderhin als Heeresnachrichtenamt (HNaA) bekannt. Seine Geschichte war von Anfang an von Mythen und Legenden begleitet. Über einen der späteren Chefs, General Alexander Buschek, kursierte die Fama, er habe aus einer abgestürzten AUA-Maschine bei London brisante Code-Unterlagen „evakuiert“. Er selber konnte über diesen Mythos nur herzlich lachen.

Das politische Erbgut des HNaA war von Beginn an festgelegt: westlich und deutlich pro-amerikanisch und später war es auch der verlängerte Arm des Bundesnachrichtendienstes (BND) – vor allem für das frühere Jugoslawien, während des Balkankrieges. Die CIA bezahlte in der Gründungsphase auch die elektronischen Abhör-Installationen.[1]

Doch auch die Russen verfügten über gute Einblicke ins Innenleben des HNaA. Dem kommunistischen Zentralorgan „Volksstimme“ wurden regelmäßig Interna aus dem Amt zugespielt. Die östlichen Maulwürfe blieben unerkannt.

Das HNaA agierte jahrelang im Schatten der politischen Großwetterlage. Das neutrale Österreich war quasi eine geografische Lücke an der elektronischen Außengrenze der NATO. Die NSA-Debatte in Österreich wurzelt in jener Zeit, da das HNaA am Rande der Neutralitäts-Verletzung für die westlichen Dienste (USA und BRD) in den Südosten hinein lauschte. Doch dies kümmerte niemand im Wiener politischen Establishment.

Und es wäre nicht Österreich: Von Beginn an gerieten Staatspolizei und Heeresdienste unter parteipolitischen Verdacht. So unterstellte die SPÖ, das HNaA sei ÖVP-dominiert. Im Gegenverdacht war die Staatspolizei natürlich „rot“. Nichts ist wirklich bewiesen, aber Gerüchte sind langlebiger als Fakten. Eines der Gerüchte: das HNaA habe den damaligen Finanzminister Androsch abgehört. Die Zäsur für das HNaA kam 1985. Wie nicht anders zu erwarten, gleichfalls im Kielwasser parteipolitischer Intrigen. Das Organisations-Element „Militärische Abwehr“ wurde aus dem HNaA heraus­gelöst und als eigenständiges Abwehr-Amt neu aufgestellt. Der Grund: Am Anfang der Kleinen Koalition (SPÖ/FPÖ) im Jahr 1983 wurde der Verdacht laut, das HNaA habe das Privatleben des Verteidigungsministers Friedhelm Frischenschlager ausspioniert. Er veranlasste die Trennung. Sie wurde von wilden Gerüchten begleitet. Etwa jenem, wonach ÖAAB-nahe Mitarbeiter kistenweise innenpolitisch relevantes Material beiseitegeschafft hätten.

Persönliche Animositäten und Intrigen brachten dann die Arbeit im Abwehramt nahezu zum Erliegen. Doch ein Revier-Konflikt zwischen HNaA und Abwehramt soll nicht unerwähnt bleiben. Die Abwehr kooperierte legal mit den NATO-Abwehrdiensten. Das HNaA durfte dies nicht. Dennoch entwickelte sich das HNaA über lange Zeit zum elektronischen Gehilfen der Amerikaner.

1987 gab es den ersten Einschnitt in die Staatspolizei. Der damalige Innenminister Karl Blecha beendete belastende Intrigen in der Wiener Staatspolizei mit der Gründung der Sondereinheit EBT (Einsatzgruppe Bekämpfung Terrorismus). Die EBT war fortan der operative Arm des staatspolizeilichen Dienstes im Innenministerium. Dies führte zu einer spürbaren Steigerung der Effizienz in der Terror-Bekämpfung. Ein Attentatsversuch auf den Papst in Wien konnte schon in den Anfängen aufgespürt werden. Auch ein Sprengstoff-Anschlag auf die Kuwaitische Botschaft konnte noch in der Planungsphase unterbunden werden. Im Dezember 2002 dann die letzte Totalreform der Staatspolizei unter Innenminister Ernst Strasser. So entstanden das BVT und die Landesämter für Verfassungsschutz. Die alte Staatspolizei ist seit 2002 Geschichte.

Dennoch – und es wär nicht Österreich: Doppelgleisigkeiten und Konkurrenz-Situationen bleiben weiterhin „intakt“. Seitens der Politik wurden nie operative Prioritäten formuliert, das gilt sowohl für HNaA als auch BVT. Auch das BVT musste seit Gründung quasi „freihändig“ agieren bzw. wurde die Arbeit überwiegend von Strafgesetzbuch und Sicherheitspolizeigesetz bestimmt.