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Paradigmenwechsel nachrichtendienstlicher Arbeit

Ausgehend von den Ereignissen 9/11 und deren Aufarbeitung vollzog sich fast lautlos und fast unbemerkt ein Paradigmenwechsel der nachrichtendienstlichen Arbeit weltweit. Auch die österreichischen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden sind heute davon unmittelbar betroffen.

George Tenet war CIA-Direktor von Juli 1997 bis Juli 2004. Wie kein anderer CIA-Direktor vor ihm musste er sich mit den Defiziten der US Intelligence Community vor und vor allem nach 9/11 auseinandersetzen. Der Abschlussbericht der sogenannten 9/11 Commission hatte erhebliche Mängel in der Koordination der Intelligence Community aufgezeigt und bisherige Grundsätze und Kooperationsmuster zwischen den Diensten und Behörden infrage gestellt.

Mit Tenet endete damit auch eine fast 60 Jahre währende Ära, in welcher der Direktor der CIA auch gleichzeitig der erste Berater des Präsidenten und des National Security Council war, vor allem aber der Koordinator zwischen den US-Nachrichtendiensten, und somit als Primus inter pares der US Intelligence Community galt. Der Direktor der CIA wurde innerhalb der Intelligence Community entmachtet und durch den Director National Intelligence (DNI) abgelöst. Tenet konnte nicht verhindern, dass es unter der Regierung George Bush und Dick Cheney zu einem bisher nicht gekannten Paradigmenwechsel in der Arbeit der US-Nachrichtendienste kam. Insbesondere die Aufklärungs- und Analysekapazität der CIA wurde rigoros dem politischen Credo der US-Außenpolitik geopfert. Mit anderen Worten: Die Entscheidung für den Golfkrieg war längst gefallen, bevor die CIA ihr Lagebild an die politische Führung übermitteln konnte. Mit diesem neuen Selbstverständnis wurde ein Paradigmenwechsel eingeleitet, nämlich dass die Nachrichtendienste gefälligst jene Beweislagen zu sichern hätten, die der Politik den Rücken stärken.

Einhergehend mit dieser Entwicklung wurde auch die Zusammenarbeit der US Intelligence Community mit ihren weltweiten nationalen Kooperationspartnern, vor allem in Europa, auf eine neue Basis gestellt.

Einerseits erhielt das Thema Terrorismusbekämpfung eine vordergründige Priorisierung in der Zusammenarbeit, was aber noch viel gravierender war, war eine neue Gangart im Umgang mit den bisherigen europäischen Partnerdiensten.

Der Umstand, dass die als Hamburger Terrorzelle bekannte Struktur von deutschen Behörden nicht rechtzeitig erkannt wurde, und auch der Umstand, dass sich Gerüchte verfestigten, Österreich sei ein Ruheraum für terroristische Vorbereitungsaktivitäten zum Nachteil der US-Sicherheit, führte zu erheblichen personellen Verstärkungen des in Österreich stationierten amerikanischen nachrichtendienstlichen Personals. Mit Deutschland und Österreich rückten zwei Staaten in das Zentrum der amerikanischen nachrichtlichen Aktivitäten in Europa, die auf eine lange Tradition bilateraler geheimdienstlicher Zusammenarbeit mit den USA zurückblicken konnten. Was Deutschland und Österreich bis heute gemeinsam haben, ist der nahezu offene nachrichtendienstliche Operationsraum für US-Dienste: in Deutschland aufgrund vertragsrechtlicher Grundlagen überwiegend noch aus der Nachkriegszeit und in Österreich aufgrund historisch gewachsener Zugänge und Abhängigkeiten.

Wie widersprüchlich die Beziehung zwischen der österreichischen und der amerikanischen Intelligence Community ist unterstreicht die Tatsache, dass noch 2003 ein Kupferstich mit Wienmotiv das Büro des CIA-Direktors, George Tenet, zierte, gewidmet vom ehemaligen Leiter des österreichischen Heeresnachrichtenamtes Alfred Schätz. Wie intensiv diese Zusammenarbeit mit US-Dienststellen tatsächlich war und immer noch ist, wurde erst Jahre später – und das auch nur in Umrissen – im Zuge der Veröffentlichungen des US-Staatsbürgers und NSA-Mitarbeiters Edward Snowden bekannt.