donaldtrumpWenige Tage vor der Inauguration des amerikanischen Präsidenten steigt die Beunruhigung nicht nur in Osteuropa.

Am 13.01.2017 gab der designierte amerikanische Präsident erstmals der Bild Zeitung und der Times ein Exklusivinterview. Die Times veröffentlichte dieses Interview am 16.01.2017 vollinhaltlich und das nicht ohne Grund, die Bildzeitung auszugsweise bereits am 15.01.2017. Noch nie in der amerikanischen Politik hat sich ein ins Amt gewählter amerikanischer Präsident zu Schlüsselthemen künftiger amerikanischer Außenpolitik so spontan und salopp geäußert. Das Interview wird als eine Art Charakterstudie von Diensten und politischen Abteilungen rund um den Erdball analysiert, auch von den eigenen. Es geht vorrangig nicht um Inhalte, sondern um die Denkmuster und das Weltbild des künftigen amerikanischen Präsidenten. In Europa und im Nahen Osten steigt die Nervosität.

Die NATO-Mitgliedschaft und der amerikanische Schutzschirm für Europa wird für viele Staaten nicht mehr wie in der Vergangenheit Free Lunch sein. Von“ 22 NATO-Staaten“, so Trump, kämen nur fünf ihren finanziellen Verpflichtungen im Rahmen der NATO nach. In einem improvisierten Interview, welches schon jetzt als bisher einmalig in der amerikanischen Politik gesehen werden kann, skizziert Trump freihändig die Eckpunkte seiner künftigen Außenpolitik. Bereitwillig steht er den beiden Journalisten Kai Diekmann für die Bild und Michael Grove für die Times Rede und Antwort. Der Bogen reichte vom Brexit und der Zukunft Europas, über die künftige Beziehung zu Russland, insbesondere die Haltung zu den „europäischen“ Sanktionen und gibt Raum für Spekulationen über seine künftige Politik gegenüber Israel. Breiter Raum wurde der EU eingeräumt, indem er ausdrücklich den BREXIT als positive Entwicklung begrüßt und weitere Austritte aus der EU als möglich hält. Trump, Sohn eines deutschen Vaters und einer schottischen Mutter, ließ im Interview sein ganz spezielles Deutschlandbild durchblicken. So sieht er die EU als Exportvehikel Deutschlands und die deutsche Kanzlerin als Steuermann/frau der EU. Im Raum steht aber auch ein stärkerer amerikanischer Protektionismus, der vor allem Deutschland mit seiner exportorientierten Wirtschaft treffen wird. Nach dem Aderlass des deutschen Flaggschiffs in der Autoindustrie in der VW-Abgasaffäre und den enormen Strafzahlungen an US-Behörden, zeigt ein weiterer düsterer Vorbote am Horizont der deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen.

Mit Großbritannien beabsichtigt er schon sehr bald nach seiner Inauguration eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Basis eines Freihandelsabkommens zu vereinbaren. Dafür möchte Trump keine Zeit verlieren. Die britische Premierministerin Theresa May hat sich bereits kurz nach der Amtsübernahme als erstes europäisches Staatsoberhaupt in Position gebracht, ein Besuch Merkels im Weißen Haus ist für Frühling geplant. Trump macht keinen Hehl daraus, dass er Angela Merkel die Verantwortung für den Ausgang der BREXIT-Abstimmung zuschreibt und begründet dies mit der verfehlten Flüchtlingspolitik ihrer Regierung. Man hat insgesamt den Eindruck, dass Trump die EU mit dem Instrument des Protektionismus herauszufordern beabsichtigt und damit eigentlich Deutschland meint. Wenn Trump in seinen Ausführungen auf Merkel Bezug nimmt, so fehlt zwar nie der Hinweis auf seine Wertschätzung für sie, aber auch der Tadel für die Flüchtlingspolitik bleibt nicht aus. Auch in der Haltung Trumps gegenüber den „europäischen“ Sanktionen gegen Russland scheint Deutschland mehr und mehr in die Isolation zu rutschen, waren es doch ursprünglich die USA, die auf die Sanktionen drängte.

Entsprechend kritisch und zurückhaltend die Kommentare europäischer Politiker auf das Interview: „Ich denke, wir Europäer haben unser Schicksal selbst in der Hand“, wird die Kanzlerin unmittelbar nach Veröffentlichung des Interviews in Bild und Times am 16.01.217 in der Süddeutschen Zeitung zitiert. In dasselbe Horn stößt auch der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses Norbert Röttgen ebenso wie der  Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Beide kritisieren die von Trump geäußerten protektionistische Denkweise. Ansätze von Panik und Ratlosigkeit sind im Umfeld der deutschen Bundesregierung zu erkennen. So forderte FDP-Chef Christian Lindner die Bundesregierung dazu auf, Trump „nicht nur an einzelnen Tweets oder Interviews zu messen, sondern an seinem Handeln nach Amtsantritt“.

Die größten Irritationen löste jedoch Trumps Kommentar zur NATO aus. Er bezeichnete die Organisation als obsolet, was naturgemäß innerhalb des Bündnisses mit Betroffenheit aufgenommen wurde. Die NATO versuchte noch die Äußerungen herunterzuspielen. Eine Sprecherin des NATO-Generalsekretärs Stoltenberg kommentierte die NATO-kritischen Äußerungen mit dem Hinweis, dass der Generalsekretär „absolut zuversichtlich“ sei, dass auch die neue amerikanische Regierung zur NATO stehen werde. Zur Beruhigung der NATO-Strukturen und auch der Mitgliedstaaten im Osten, hat dies allerdings nicht beigetragen.

Nach einem Treffen zwischen dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel nach Erscheinen des Interviews äußerte auch Steinmeier seiner Besorgnis über die Einschätzung Trumps. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht plausibel, dass der designierte Verteidigungsminister James Mattis noch bei seiner Anhörung im Kongress die NATO ganz anders beurteilte und sie als eines der erfolgreichsten Bündnisse bezeichnete. Zur Beruhigung der europäischen Sicherheitsarchitektur tragen diese Widersprüche jedenfalls nicht bei. Die NATO-Stäbe und ihr politischer Teil sind zutiefst verunsichert. Noch mehr als die NATO-Struktur sind aber jene Mitglieder alarmiert, die sich an der europäischen Peripherie von Russland bedroht fühlen.

Eines der Mankos, die Trump der NATO vorhält, ist der Umstand, dass sie auf die Herausforderung des Terrorismus nicht schlagkräftig reagiert hätte. Im Interview stricht Trump hervor, dass die NATO auf seine Forderungen nach einer glaubwürdigen Antwort auf die terroristische Bedrohung bereits mit der Schaffung einer Division zur Terrorismusbekämpfung reagiert hätte. Diese Äußerung erweckt den Eindruck, es handelt sich um eine kampffähige Division im Rahmen der militärischen Struktur der NATO. Das ist nicht der Fall: Vielmehr wurde am Warschauer NATO-Gipfel am 09.07.2016 die Einrichtung eine neue Funktion geschaffen: Die des „Assistant Secretary General for Intelligence and Security“. In der Tat handelt es sich um eine Division, allerdings innerhalb der politischen Struktur des Bündnisses. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass sich das Bündnis dem Kampf gegen den Terrorismus verschrieben hätte, wie dies der designierte amerikanische Präsident andeutet. De facto handelt es sich bei Terrorismusbekämpfung um eine nachrichtendienstliche und auch polizeiliche Aufgabe und nicht um eine primär militärische. Die in Warschau geschaffene Struktur wird erst in Jahren arbeitsfähig sein und keinesfalls dazu beitragen, den Terrorismus nachhaltig zu bekämpfen. Im Gegenteil: Die militärischen Einsätze out of area– auch des Bündnisses – haben ganz wesentlich dazu beigetragen, den Terrorismus erst nach Europa zu exportieren. Somit steht die Diskussion um die Zukunft der NATO erst in ihren Anfängen.

Setzt sich die skeptische amerikanische Haltung gegenüber der NATO weiter fort, ist von einer Revitalisierung europäischer Verteidigungsansätze auszugehen und von einer nicht wieder gut zu machenden Verwerfung bisheriger europäischer Bündnispolitik. Dies vornehmlich im Rahmen jener Staaten, die  jetzt schon für eine stärkere militärische Integration eintreten, wie Deutschland und Frankreich. Der BREXIT wird diese Überlegungen noch beschleunigen, fällt doch der größte Kritiker europäischer Verteidigungsansätze außerhalb der NATO künftig nicht mehr ins Gewicht.